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Benedikt Weibel 05-04-2019

Mysterium VRP

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Mysterium VRP

In der Öffentlichkeit und der Presse wird gerne personifiziert - und so wird die Rolle des Präsidenten des Verwaltungsrats (VRP) nur allzugerne überzeichnet. Dabei ist doch der Präsident vorerst ein Mitglied im Kollektivgremium - mit klar definierter Verantwortung.

 

Jedem seinen Präsidenten

Es gibt kaum eine Funktion, in die mehr hineininterpretiert wird. Obwohl dem VRP im Obligationenrecht eine einzige klitzekleine Kompetenz zugewiesen wird: Wenn seine Verwaltungsratskolleginnen und -kollegen bei mit der Geschäftsführung betrauten Personen direkt Auskunft verlangen wollen, braucht es dazu die Ermächtigung des VRP. Der Swiss Code of Best Practice für Corporate Governance widmet dem VRP immerhin einen kleinen Abschnitt. Sie/er ist verantwortlich für die Vorbereitung und Leitung der VR-Sitzungen und die rechtzeitige Information der involvierten Personen.

Kollektiv oder krisentauglich

Das oberste Führungsorgan der Unternehmung ist der Verwaltungsrat als Kollektivorgan und nicht der VRP. Gemäss OR ist der VR für die Oberleitung zuständig. Was bedeutet, dass die effektive Leitung, d.h. die Geschäftsführung, in der Regel an eine Geschäftsleitung delegiert wird. Im Gegensatz zum VR ist die GL im Normalfall kein kollektives Führungsorgan. «Die GL entscheidet im Konsens. Kommt kein Konsens zustande, entscheidet die/der Vorsitzende.» Das ist die übliche Formulierung im Organisationsreglement. Die kollektive Führung in der Oberleitung macht Sinn, in der operativen Führung ist sie zum Anachronismus geworden. Dafür gibt es einen Grund: das Modell der kollektiven operativen Führung ist wenig krisentauglich.

Kürzlich lese ich in einem ganzseitigen Artikel im Tagesanzeiger über den VRP der Post. «Ob Schwaller mit Cirillo eine gute Wahl getroffen hat, ist unklar, der neue Postchef ist weitgehend unbekannt.» Einwand: Es ist nicht der VRP, der den neuen CEO gewählt hat, sondern der VR. «Strategisch hat Urs Schwaller dem gelben Riesen keine Impulse geben können.» Einwand: Die Hauptaufgaben des VR sind die Wahl des CEO sowie die Oberaufsicht über die mit der Geschäftsführung betrauten Personen. In Krisenzeiten muss der VRP eine Funktion übernehmen, die weder im OR noch im Swiss Code erwähnt ist: Er wird zum Troubleshooter. Nach dem Aufbrechen des Postautoskandals war Urs Schwaller mit Troubleshooting und der Wahl des neuen CEO absorbiert. Die Erwartung, dass er auch noch die entscheidenden strategischen Impulse eingibt, ist überzogen.

Klare Verantwortung

Der Präsident hat eine klare Verantwortung. Er setzt die Agenda - zusammen mit dem CEO. Der VRP tauscht sich regelmässig mit dem CEO aus. Er koordiniert die Information der verschiedenen Ebenen (Eigentümer, Geschäftsleitung) und hält den gesamten Verwaltungsrat auf dem Laufenden. Und vor allem: Er leitet die VR-Sitzungen. Letzteres wird gerne unterschätzt. Schon der Nobelpreisträger Daniel Kahneman wunderte sich, dass die so wichtige Tätigkeit der Leitung einer Sitzung in keinem Studiengang vermittelt wird. Ein wirkungsvoller Präsident muss die Gabe der Mustererkennung besitzen und die Fähigkeit, unterschiedliche Meinungen einem Konsens zuzuführen.

Die Angelsachsen haben für das Verhältnis VRP/CEO eine ebenso simple wie klare Formel definiert, an die wir uns ebenso halten können:
The Chairman runs the board, the CEO runs the company.
 

DER AUTOR

Benedikt Weibel

Jeder in der Schweiz kennt Benedikt Weibel. Als ehemaliger CEO der SBB prägte er die Umwandlung der Staatsbahn in eine spezialgesetzliche Aktiengesellschaft. Er präsidierte den Weltverband der Eisenbahnunternehmungen UIC, hatte eine Professur an der Uni Bern und war unter anderem Verwaltungsrat bei den französischen SNCF. Heute ist er aktiv als Publizist und Mitglied verschiedener Gremien. www.benediktweibel.ch

 

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